Sonntag, 21. Oktober 2012

Aus der Butze in die Bude


Eine gute Planung ist das A und O einer jeden Unternehmung bei der hohe Verluste zu erwarten sind. Sei es das eigene Ego, wenn es darum geht einem hübschen Fräulein den Hof zu bereiten oder sei es das Haushaltsinventar beim Umzug in die neue Wohnung . Die größte Gefahr steckt meiner Erfahrung nach immer hinter einem zu großen persönlichen Ehrgeiz.
Die veranschlagten zwei Stunden für den gesamten Transport waren leider viel zu optimistisch. Deshalb wurde ich gezwungen, meinen von mir für die angedachte Zeitspanne reservierten Transportwagen, überraschend und unverzüglich zurückzugeben. Getrieben von blanker Angst vor den unverhältnismäßig hohen Strafgebühren bei Verzug, reichte ich den Wagen mit Vollbremsung und einem noch halb beladenen Kofferraum am Rückgabeort ein. Nicht nur, dass ich nun völlig unmotorisiert mit meinem Kram in der Pampa stand, es waren zudem sowohl Bett als auch Sofa in der alten Wohnung zurückgeblieben. Zum Glück kenne ich einige gutmütige Zeitgenossen und es wurde mir rechtzeitig vor Anbruch der Nacht noch eine Luftmatratze überbracht.
Auf dieser Matratze lebte ich zwei Wochen, in einem Zimmer, welches zunächst so spärlich eingerichtet war, dass selbst ein hartgesottener Purist beim Anblick der gähnenden Leere wohl lieber zum Messie mutiert wäre als sich selbst auch nur für einen Moment dieser bedrückenden Kargheit auszusetzen. Dessen nicht genug, wurde laut Aussage meines Internetanbieters mein Modem gerade erst in Malaysia zusammengeschraubt und angesichts des mir zugesagten Liefertermins musste ich davon ausgehen, dass man die Logistik soeben komplett auf Fahrräder, Esel und Bollerwagen umgestellt hatte. So befinde ich mich auch zum jetzigen Zeitpunkt informationsmitteltechnisch nach wie vor auf dritte Welt Niveau.
Kaum hatte ich einige Minuten alleine in der Wohnung verbracht, setzte auch schon die Depression ein. Natürlich hatte ich bedacht meine emsigen Umzugshelfer angemessen für ihre Mühen zu entlohnen und so war mein einziger wenn auch unzureichender Trost ein Kühlschrank voll mit halbleeren Bierflaschen und abgeknabberte Pizzastückchen, die sich bis jetzt übrigens ganz gut gehalten haben. Glücklicherweise hat die Wohnung keinen Balkon. Ansonsten hätte wohl akute Suizidgefahr bestanden.

Weil es der liebe Gott, beziehungsweise der Suffkopp Bacchus, aber so gut mit mir meint, spielte er mir die Gelegenheit zu, dem in Stuttgart ansässigen A.S. einen Besuch abzustatten, wo, es war schließlich Oktober, das Oktoberfest stattfand. Im Gegensatz zu einer weiteren süddeutschen Ethnie haben die Schwaben gelernt, bestimmte Zeiträume den entsprechenden Monatsnamen zuzuordnen. Auf jeden Fall bestand Aussicht auf überschwenglichen Bierkonsum und so scheute auch Ben* Weg und Menschen nicht und trat die beschwerliche Reise an. Nach seinen eigenen Aussagen bezieht sich „beschwerlich“ hauptsächlich auf die ersten Augenblicke der Fahrt, während denen er seinen Platz im Bordbistro noch nicht bezogen hatte. Warum die weiteren Blogautoren an Präsenz mangeln ließen bleibt bis dato rätselhaft, allerdings lässt sich aus Accelzios letztem Eintrag schließen, dass es ihm nicht gelungen ist, auf die Schnelle genug Fischbrötchen aufzutreiben.
Auch wenn die mediale Berichterstattung es nicht widerspiegelt, die Menschen in Stuttgart haben ein breites kulturelles Interessenfeld, welches sich keinesfalls ausschließlich auf Kopfbahnhöfe beschränkt. Stuttgart hat allenfalls ein Imageproblem. Nach dem bundesweiten Erfolg der "Wir können alles! - Außer Hochdeutsch" - Kampagne sind die PR-Berater im Stuttgarter Landtag leider zu dem Trugschluss gelangt, bereits auf dem Zenit ihres Schaffens angekommen zu sein und haben von da an nur noch zufrieden im Stuhl gewippt.
Doch vermutlich ist ihr trügerisches Nichtstun nur ein weiterer ihrer genialen Marketing-Coups. Seien wir doch ehrlich. Wie viele frischverliebte Paare gehen nach einem ernüchternden Wochenende in Paris getrennte Wege, weil das Steak tartare am Boulevard Saint-Germain doch nicht so viel besser schmeckt als das rohe Gammelfleisch vom Metzger um die Ecke. Wie viele alteingesessene Eheleute sitzen verzweifelt im Flug zurück aus New York, weil ihnen das MoMA auch nicht mehr geben konnte als das daheim im Wohnzimmer ausgestellte Gekrakel ihres erstgeborenen Kindes. Wie viele gutgläubige Sextouristen sind betrübt, weil die Nutten in Thailand doch nicht alle minderjährig sind. Wie viele Schweizer Landsleute kauen mir jammernd ein Ohr ab, weil man bei Curry 36 doch nicht die beste Currywurst der Welt bekommt und die Busfahrer der BVG ja doch freundlich und hilfsbereit sind (allein die S-Bahn ist zuverlässig scheiße). Von Stuttgart wird man nicht enttäuscht! Wer Stuttgart verlässt, ist so voll von unerwarteter Euphorie, dass wahrscheinlich nur die versehentliche Einnahme eines randvollen Sacks Opiate einen vergleichbaren Effekt hervorrufen könnte.
A.S. erwies sich als ein wahrer Kenner der Stuttgarter Hip Hop-Szene, die, man muss das leider etwas relativieren, die einzig vorhandene Szene überhaupt ist. Dessen ungeachtet brachte er uns von einer Tanzbar in die nächste, wo es an guter Laune und durstigem Klientel in keinem Falle mangelte. Wir beendeten den Abend standesgemäß und legten uns nach einer glorreichen und extrem intensiven Kneipen- und Tanzbetriebtour schlafen, nicht ohne auf einen letzten zugegeben etwas übereifrigen Absacker verzichtet zu haben.
Bereits wenige Stunden später waren wir im Festzelt auf dem Wasn. Nie zuvor hatte ich derart Mühe beim Trinken und nie mehr lass ich mir vorhalten, dass das vorsätzliche Pegelsaufen ja nur ungleich mehr erfordert, als die Fähigkeit, wach zu sein. Selten habe ich an einem Samstag morgen so hart gearbeitet. Auch das zweiten Bier lief noch zäh. Na gut, ab dem dritten ging es dann wieder besser, und danach war es eh schon wieder gut. Aber nie zuvor bin ich an einem Samstagabend bereits um neun ins Bett gefallen. Der kurz vor Aussetzen der Kräfte getätigte Großeinkauf Whisky Cola zeigt, dass der Vorsatz um elf abends wieder aufzustehen und weiterzufeiern durchaus ernst gemeint war. Nichtsdestotrotz sah man sich erst um elf am nächsten Morgen wieder. Ausgeschlafen und fast ohne Kater.
Man verabschiedete sich von dem großartigen Gastgeber A.S. und zog im Zug gen Nord und Süd. Der Kopf war dumpf und leer und der Blick ging hinaus aus dem Abteilfenster. Und während die Landschaft an einem vorbeiblätterte wie ein endloses aber irgendwie sinnloses Daumenkino, ließ man das Stuttgarter Wochenende noch einmal im Geiste Revue passieren und vermerkte, diese Stadt im Bekanntenkreis herzlich weiterzuempfehlen.

Kurz nachdem ich wieder in mein frischbezogenes Züricher Schlupfloch zurückgekehrt war, ereilte mich eine schwere Erkältung. Aus der Befürchtung heraus, die Krankheit könnte psychisch bedingt sein, verschönerte ich die Wohnung schnell mit zwei Postern und kaufte einen Besen. Die Besserung blieb aus. Ich überlegte ernsthaft zum Arzt zu gehen. Leider hatte ich wenige Tage zuvor, zufällig, als ich meine neue Adresse durchgab, von meiner Krankenkasse erfahren, dass ich seit Dezember 2011 unversichert war, weil ich versäumt hatte, eine Rechnung zu bezahlen. Meiner Meinung nach beispiellos stark, dass es keiner für nötig hielt, mich über diesen vielleicht doch nicht ganz uninteressanten Umstand zu informieren.
Aber wer braucht schon fachkundige Rezepte. Ich kaufte in der Apotheke erstmal alle möglichen pflanzlichen und chemischen Stoffe und mixte mir ein paar zünftige Tablettencocktails. Ebenfalls erprobte ich eine 0.9 prozentige Natriumchloridlösung, mit der man die Nase spülen konnte, welche aber laut Beipackzettel auch für einen Großteil weiterer Körperöffnungen bestens geeignet gewesen wäre.
Zu meiner Unzufriedenheit hatte ich nicht nur den anlässlich der bevorstehenden Schließung der Olé Olé Bar organisierten Biermop verpasst, es stand auch eine zweitägige Party bevor, zu der auch ein vielgelobter Kreuzberger Künstler sein Handwerk beigeben sollte. Ein gesundheitlicher Umschwung war nicht nur begrüßenswert sondern zwingend erforderlich.
Auch wenn ich das zuletzt erwähnte Ereignis am Ende immer noch sehr angeschlagen durchlebte, war ich mit meinem Heilungsprozess halbwegs zufrieden und verweise an dieser Stelle wieder einmal auf die neben allerhand Pillen nicht zu unterschätzende therapeutische Wirkung von Ben‘s Blog hinsichtlich des körperlichen und geistigen Wohlbefindens.

1 Kommentar:

  1. Kleiner Nachtrag zu meiner Bahnfahrt von Stuttgart zurück nach Berlin:
    Ich hatte eine Sitzplatzreservierung und stellte freudig fest, dass neben meinem Fensterplatz ein echt süßes Mädel saß. Kaum hatte ich es mir auf meinem Platz gemütlich gemacht und das Buch, das sie gerade las gegoogelt um ein Gespräch anfangen zu können, nahm ich den Geruch von schalem Bier war. Es war wahrlich nicht sehr klug in der gleichen Jeans mit der ich auf dem Wasn war, nach Hause zu fahren. Das Mädel drehte sich kurz später demonstrativ von mir weg und es wurde die ganzen 6 Stunden kein einziges Wort gewechselt. Ich hab wieder was gelernt: Ab nun geht die Tendenz eindeutig in Richtung Zweithose ;-).

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