Mittwoch, 10. Oktober 2012

The Theory of Hate


Wie zumindest den Eingeweihten unter den Lesern hier bekannt sein dürfte, habe auch ich meine eigene Hass-Theorie entwickelt, deren konsequente Anwendung mir in meinem Leben seitdem sehr weitergeholfen hat. Manchmal stieß ich damit bei euch auf Unverständnis, manchmal auf Mitgefühl, manchmal habt ihr euch meinem Hass sogar angeschlossen. Aber leider glaube ich, ihr tatet es eher aus Loyalität, nicht weil ihr dieses Gefühl wirklich mit mir teilen konntet. Ihr mögt zwar mit mir gegen Nissan Filialen pinkeln oder Schmäh-Prosa über Mehdorn dichten, und das mag euch sogar Spaß machen, aber verspürt ihr dabei wirklich diesen vollkommenen unverfälschten Hass gegen diese Pisser, Spastis, die essen was ich wegwerfe, Nazis in Mülltonn…….

Wie bitte? Was? Wie ich zu meiner Theorie kam? Ach so ja genau, gut dass ihr fragt:
Aaaaalsoo… Schon seit meiner Kindheit, aber ganz besonders in den letzten paar Jahren, habe ich immer wieder die schmerzhafte Erfahrung machen müssen, dass es mir schwerer fällt, reinen, echten, unverfälschten und abgrundtiefen Hass zu verspüren als vielen anderen. Schon in der Schule fühlte ich mich manchmal seltsam ausgeschlossen, wenn die anderen Jungs in der Umkleide das jeweils grade aktuelle Klassenopfer fertig machten oder sogar verprügelten. Ich wollte auch dazugehören, aber irgendwie konnte ich mich nicht so recht dafür begeistern. Später auf dem Gymnasium wurde es sogar noch schlimmer. Hass war der Grundstein des schulischen Sozialgefüges – hattest du nicht genug davon, wusstest du nie genau wo du hingehörst. Der Hass ließ manche meiner Klassenkameraden im wahrsten Sinne des Wortes aufblühen und die unglaublichsten Dinge vollbringen.
Als Beleg hierfür möchte ich an dieser Stelle unser Abi-Buch anführen, das Manifest unseres Semesters, Dokument aller erwähnenswerten Taten während der Schulzeit und Spiegelbild der eigenen Errungenschaften. Was wäre dieses Füllhorn der kreativen Höchstleistungen ohne den Hass gewesen? Das kann ich euch sagen: Es hätte ungefähr so ausgesehen, wie meine Abibuch-Seite. Fünf lustlos zusammen geklatschte Fotos ein paar langweilige dahingerotzte Sätze Verbaldiarö und nicht mal eine wirklich ernstzunehmende Beleidigung in den Kommentaren. Kurz gesagt: Stinklangweilig. Nichts wovon man seinen Kindern erzählen könnte. Meine Abi-Seite war wirklich scheiße! Darüber habe ich mich geärgert. Die Beschissenheit meiner Seite lag natürlich hauptsächlich an meiner eigenen Faulheit und ich habe auch wirklich versucht mich selbst dafür zu hassen, aber ich habe es einfach nicht hinbekommen. Meine Faulheit ist eine der Eigenschaften, die ich am meisten an mir selbst schätze, wie sollte ich sie also hassen?
Trotzdem erkannte ich, dass der Hass die Menschen zu großen Taten beflügelt, ihnen ungeahnte Kräfte verleiht, sowie die Fähigkeit, sich mit voller Leidenschaft für eine Sache zu begeistern und sie bis zum bitteren Ende durchzuziehen. Überlegt doch mal! Wo wäre die Welt ohne den Hass? Was wäre aus all den Imperien und Hochkulturen geworden? Welcher Politiker oder Feldherr kann die Massen hinter sich vereinen, ohne ihren Hass zu schüren? Da bleiben nicht viele übrig. Ghandi und Obama können die Welt auch nicht alleine verändern. Und außerdem, die wären auch beide nichts geworden, wenn nicht so viele Leute sie gehasst hätten. Wer hätte die griechischen Truppen gegen Troja geführt? Wer hätte Voldemord getötet? Was für einen Sinn hätte die Bundesliga noch? Oder die Fußballweltmeisterschaft? Was wäre aus Darth Vader geworden? Der würde immer noch als Anekin in so einem Kartoffelsack rum rennen und der Todesstern, eines der größten architektonischen Meisterwerke der Filmgeschichte, wäre nie gebaut worden. Nein meine Freunde, ohne den Hass wäre die Welt nicht, was sie heute ist. Ich behaupte ja gar nicht, dass Hass all unsere Probleme löst - dafür gibt es schließlich Alkohol – aber ohne die Fähigkeit wirklichen echten Hass zu verspüren und ihn für seine Zwecke zu nutzen, fehlt einem eben etwas.

Was denn jetzt schon wieder? Ach so ja genau meine Theorie, gut dass du fragst!
Wie ich also oben beschrieben, habe ich schon in der Schule die Erfahrung gemacht, dass es mir an der Fähigkeit fehlt wirklich zu hassen. Und das schlimmste war, es wurde immer schlimmer umso älter ich wurde. Das Schicksal hat mir zwar manchmal in Form besonders hassenswerter Lehrer etwas Abhilfe verschafft, aber es war jedes mal das gleiche. Immer wenn ich jemanden fand, den ich wirklich hassen konnte, lernte ich ihn mit der Zeit besser kennen, und merkte: Der ist ja doch gar nicht so übel! Oft konnte ich im Nachhinein sogar verstehen, warum er oder sie die hassenswerten Dinge getan hatte und in der Rückbetrachtung erschienen sie mir sogar verständlich. Schon war all der schöne Hass verflogen und ich befand mich wieder im alten Trott. Selbst mein Klassenlehrer Herr Ziegler, der mich in einer dreitägigen Prag-Reise fünf (!!!) mal zu Unrecht nach Hause schicken wollte, wurde über die Jahre sogar einer meiner Lieblingslehrer. Kein Wunder, dass meine Noten schlechter wurden. Wen hätte es denn noch aufgeregt, wenn ich gut war? Aber schlecht genug, dass sie mich wirklich scheiße fanden, war ich auch nicht. Und man kann nicht sagen, dass Ben und ich uns nicht bemüht hätten, vor allem in Französisch.
So wurde mir mit der Zeit eine der ersten Grundannahmen meiner Theorie klar: Wenn du nicht wirklich hassen kannst, wirst du auch nie wirklich gehasst werden. Du wirst in bestimmten Kreisen immer ein Außenseiter bleiben. Du wirst in der Schule nicht verstehen, warum wer zu welcher Clique gehört, und nach welchen Mechanismen sich diese Zugehörigkeiten permanent ändern. Ich fragte mich also: Was kann ich tun um mehr Hass zu spüren? Aus der Beobachtung der Mitschüler und Kommilitonen, die ich für besonders hasserfüllt hielt, zog ich die Erkenntnis, dass der schnellste Weg zu gutem Hass über Selbsthass führt. Ich habe eine Weile ausprobiert mich, oder wenn nicht mich selbst dann wenigstens mein Leben zu hassen (Manch einer mag sich noch an diese Phase erinnern, in der ich öfters kundtat, dass ich mein Leben hasse), aber ihr mögt es schon ahnen: Es hat nicht funktioniert. Mir wurde klar, ich musste mir etwas anderes überlegen, wenn ich wirklichen Hass erfahren wollte. Und so kam es, dass ich mir die inzwischen in meinem Studium erworbenen Grundkenntnisse der empirischen Wissenschaft zu nutze machte, um die Theory of Hate zu entwickeln.
(da du nun schon seit geraumer Zeit meine Verbalen Ergüsse liest, ohne bisher auch nur das kleinste bisschen von der großspurig angekündigten Theory of Hate zu erfahren, bist du an diesem Punkt wahrscheinlich schon mit einem gewissen Pegel an gesundem Grundhass erfüllt. Ich möchte dich deshalb bitten, dir diesen im folgenden Teil zueigen zu machen und die Theorie auf dich selbst anzuwenden)

Ausgehend von meinen Erfahrungen und Beobachtungen lassen sich folgende Grundannahmen formulieren:
1.      Richtig angewendet verleiht Hass dem Hassenden (A) enormer Energie und kreative Schaffenskraft, die auf den Gehassten (B) kanalisiert werden kann.
2.      Die natürliche Quelle des unverfälschten Hass ist der Selbsthass (H_selbst).
Aus diesen beiden Annahmen folgt zwangsläufig, dass all jene, die nicht über ein ausreichendes Potential an HS verfügen, diesen Mangel durch ein entsprechendes Potential an Behelfs- oder Ersatzhass (H_ersatz) ausgleichen müssen. Genauso wie ein Diabetiker, der nicht ausreichend Insulin produziert, brauchen die Betroffenen also ein Ersatzpräparat, also eine alternative Quelle des Hasses.
Was eignet sich also als Quelle des Hasses? Welche Eigenschaften muss eine Person, eine Institution oder ein beliebiges Objekt haben, damit es sich als Ersatzquelle des Hasses eignet? Auch hierfür lassen sich aus meinen Beobachtungen einige Je-Desto-Aussagen treffen.
1.      Je weniger Kontakt der Hassende (A) zum Gehassten (B) hat, desto leichter ist der Hass aufrechtzuerhalten. à Vollkommener Hass kann wesentlich leichter gegenüber jemandem oder etwas empfunden werden, das man nicht wirklich kennt.
2.      Der Hass gegenüber dem gehassten Objekt (B) nimmt mit der Zeit ab, wenn er nicht institutionalisiert oder zumindest ritualisiert und somit immer wieder erneuert wird.  
3.      Hass ist effektiver, wenn er einen konkreten Adressaten (im Folgenden auch als Hadressat bezeichnet) hat, da er dann einfacher institutionalisierbar ist. Effektiver Hass ist also grundsätzlich zielgerichtet und verliert an Kraft, wenn der Hadressat (B) oft gewechselt wird.
4.      Im Idealfall ist die Ersatzquelle des Hasses (H_ersatz) identisch mit dem zu Hadressat (B). Es gilt also im Idealfall „H_ersatz = B“.

Diese Regeln und Variablen zur Auswahl der passenden Ersatz-Hassquelle sind natürlich für jeden individuell unterschiedlich. Aus den vier Aussagen lassen sich allerdings einige allgemeine Regeln für die Auswahl des richtigen Hadressaten ableiten. Wählt am besten eine Person oder Institution aus, die ihr nicht wirklich kennt, die in eurem täglichen Leben aber regelmäßig vorkommt. Auf diese Weise könnt ihr den Hass gegen den Hadressaten in eurem Alltag ritualisieren, ohne Gefahr zu laufen das Hasspotential durch echten Kontakt mit dem Objekt zu vermindern. Zweitens: Pflegt euren Hass: Guter Hass braucht seine Zeit, er kommt nicht von heute auf morgen. Ihr habt irgendwas gefunden, worüber ihr nicht wirklich bescheid wisst, was euch aber irgendwie geärgert hat? Das müsst ihr behandeln wie ein Samenkorn. Pflegt es über längere Zeit. Achtet, immer wenn es euch in eurem Alltag begegnet auf weitere Gründe, warum ihr es hassen könntet. Und ganz wichtig! Wenn ihr mehrere Sachen habt, die euch ärgern, oder die ihr sogar hasst, dann verknüpft sie! Euch stört irgendwas? Irgendjemand im Fernsehen regt euch auf? Da gibt s bestimmt einen Zusammenhang mit eurem Hadressaten!

Zum Schluss möchte ich euch zur Veranschaulichung noch ein konkretes Anwendungsbeispiel aus meinem eigenen Leben geben. Der eine oder andere mag es schon geahnt haben: Mein persönliches H_ersatz, also die Quelle meines Hasses, aus der ich ein Großteil meiner Energie beziehe und die mein Leben verändert hat, ist Nissan! Ich habe lange nach einem guten Hadressaten gesucht und eines Tages fiel es mir einfach auf. Ich kenne niemanden der Nissan fährt, ich weiß nicht mal wo diese Autos hergestellt werden, vermutlich Mordor, oder noch schlimmer, Jena (das ist ein weiterer Hadressat, den ich versuche aufzubauen und mit den anderen zu verknüpfen, aber der befindet sich noch im Anfangsstadium). Wie auch immer, mir ist aufgefallen, dass ich entweder alle Nissans hässlich fand, oder sie von anderen deutschen Modellen abgekupfert waren. Und Tadaa, der Grundstein für einen guten Hass war gelegt. Seitdem habe ich diesen Hass weiter gepflegt und weitere Gründe, Nissan zu hassen, kamen ganz von allein. Das ist wie mit einer guten Verschwörungstheorie: Wenn man lange genug sucht, findet man schon irgendwelche Gründe, Nissan zu hassen. Und dann fällt es dir auch auf einmal auf, dass der Typ, der dir grade den Parkplatz geklaut hat, einen Nissan fährt. Und dann wenn du dann auf der A4 an Jena vorbeifährst (diese Stadt ist wirklich so unglaublich hässlich, Gott sei Dank war ich noch nie dort) fallen dir auf einmal die ganzen Nissans auf und alles beginnt einen Sinn zu ergeben. Und dann hast du es: Endlich hast du den Hass, dieses reine und vollkommene Gefühl, ohne dass es sich irgendwie negativ auf deinen Alltag auswirkt.
Ich kann ohne zu übertreiben sagen, der Hass auf Nissan hat mein Leben verändert, und das kann er auch bei euch! Das höchste der Gefühle wäre natürlich, wenn wir unseren Hass auch noch gemeinsam teilen könnten, wenn ihr also auch Nissan hast, oder wir zumindest einen gemeinsamen Hadressaten finden würden. Das ist gar nicht so einfach, ich hab mich schon umgeschaut, aber ich kenne einfach zu viele rothaarige und die sind eigentlich alle ganz in Ordnung. Sogar einen ganz erträglichen FDP-Anhänger zähle ich zu meinem Bekanntenkreis. Da besteht schon wieder viel zu viel emotionale Nähe. Jaja es ist wirklich nicht einfach, aber es lohnt sich.

Auch dieser Text entstand unter dem Einfluss fruchtbaren Hasses. Einerseits auf die Uni von der ich mich ablenken muss, aber dann, ich war grade mitten dabei musste ich meiner Freundin beim Parkplatz suchen Nachts in Charlottenburg helfen. Wir haben eine halbe Stunde gesucht, um dann 10 Minuten Fußweg von zuhause entfernt endlich einen Parkplatz zu finden. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie unglaublich viele Nissans auf meinen potentiellen Parkplätzen standen und mir den Tag versaut haben. 

1 Kommentar:

  1. Pfiffy, was du hier dargelegt hast, ist nicht nur sehr zutreffend und fein beobachtet, sondern geradezu brilliant abgefasst! Ich danke dir für einen sehr erheiterten Morgen vor der Arbeit und meiner letzten Klausur. Und es war alles, wie es die Schrift vorausgesagt hatte: Er sah seine Nachbarin, Frustrierte Fotzine, sowie die Hirten von der Insel und er beschloss, sie einfach aus tiefen Herzen zu hassen. Welche Kraft dies nur in mein Leben bringen wird!

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