Was bisher passiert ist: Mein ehemaliger Mitbewohner A. hat sich in Zürich in A. aus Armenien verliebt und sie nach nicht mehr als einem Jahr geheiratet. Wer könnte da noch behaupten die Schweizer seien nicht spontan? Nun fand also die Hochzeit in Jerewan statt wozu eine feierfreudige Gesellschaft aus der Schweiz eingeflogen wurde, derer ich erfreulicherweise ein Teil war.
Viele der Mitreisenden haben auch dem vorausgegangenen Polterwochende in Interlaken beigewohnt, bei dem ein scheinbar harmloses Trinkspiel (leider kann ich die genauen Details nicht preisgeben, da das Patentverfahren noch läuft) in eine unbarmherzige Druckbetankung ausartete, so dass der nach einer Stunde leider bereits ziemlich komatöse A. in die Notaufnahme gefahren werden musste. Eine verantwortungsvolle Tat, die ein sorgenfreies Weiterfeiern für all diejenigen ermöglichte, die sich vorgenommen hatten, ihm, wenn überhaupt, zu einem etwas späteren Zeitpunkt nachzufolgen. Zu meiner Reisegruppe lässt sich zusammenfassend sagen, dass ich bei ihr in guten Händen war.
Im Geiste dieses Forums werde ich nun meine während der Reise gesammelten Erfahrungen in dem faszinierenden Land Armenien auf die Stunden beschränken, bei denen der gefühlte Promillewert am Höchsten war. Dies entspricht dem Zeitraum während und nach der Hochzeitsfeier. Wie also darf man sich diese vorstellen? Obwohl Armenien in den Medien oftmals in der Rolle eines finanziellen Wracks auftritt, weiß jeder, der mal einige Zeit in Berlin verbracht hat, dass ökonomische und politische Randbedingungen kein Grund sind, sich den Spaß verderben zu lassen. Und weil sich die Armenier, genau wie das Volk an der Spree, das Feiern nicht verbieten lassen, sind für sie Hochzeiten ein willkommenes Ereignis, um unter Gebrauch einer ethanolbasierten Alchemie, die großen und kleinen Probleme menschlicher Existenz, in gute Laune umzuwandeln.
Neben wirklich sehr gutem und vor allem lokal produzierten Brandy (nach historisch belegten Aussagen Winston Churchill's der Beste der Welt) war auch das Essen ausgesprochen gut und umfangreich. Leider beging ich einen weit verbreiteten Anfängerfehler und hielt die Vorspeise für den Hauptgang, wodurch ich mich selbst um mindestens 100000 kcal geprellt habe. Ich bitte ein solch unvorbildhaftes Verhalten zu entschuldigen.
Meine eine Gehirnhälfte konzentrierte sich also auf das recht üppige Vorspeisenvariété. Meine andere Gehirnhälfte war damit beschäftigt eine Konversation mit meiner charmanten Tischnachbarin zu führen, die übrigens neben fließendem Englisch auch fließend deutsch sprach.Wie sich herausstellte hatte sie einige zeit in Schland verbracht, wo sie anscheinend auch ein wenig Medizin studierte hat, um sich anschließend auf das Fachgebiet der Gastroenterologie zu vertiefen. Da man nie weiß wie dick es kommt, ist es wenn man Networking konsequent betreibt, ratsam, für jede Lebenssituation einen Spezialisten im Bekanntenkreis zu haben. Ich beschloss also den mir durch die Sitzordnung zugekommenen Kontakt auszubauen.
Wie bereits gesagt bestand das Essen aus mehreren Gängen. Dem durchaus kreativen Konzept der Feier zu Folge, wurde allerdings zwischen jedem Gang zum Tanz aufgerufen. Dass niemand auf die Idee kam, unerwünschterweise sein Gespräch fortzusetzen, wurde die Musik dermaßen aufgedreht, dass jede Kommunikation zum Scheitern verdammt war. Während ich gerade noch versuchte mir die Reste Humus aus dem Bart zu putzen wurde ich von einigen Armeniern bereits aufs Tanzparkett gebracht, wo übertrieben basslastige Kaukasusmucke am Start war. Die Frauen vollführten dabei Bewegungen, die sich wohl am besten in das Genre des Aggro-Flamenco einordnen lassen. Die Tanzdarbietung der armenischen Männer, an denen ich mich geschlechtsbedingt zu orientieren hatte, glichen einer motorischen Abfolge, der ich dem Namen "Flugzeug mit Gummiflügeln und einseitigem Triebwerkausfall" gegeben habe. Ebenfalls vertreten war ein weiteres Tanzmotiv, bei dem es darum ging möglichst energisch mit den Füßen auf den Boden zu treten und mit den Händen in die Luft zu schnipsen. Hier schien mir die Bezeichnung "Pazifistischer Texaner auf Speed im Kneippbad" passend.
Da die ausgelassene Bewegung die Zunahme meines Alkoholblutpegels erschwerte, beschloss ich vermehrt Brandy und Vodka nachzuschütten. Und so nahm die Feier ihren Lauf. Später irgendwann waren alle armenischen Gäste weg. Na gut, war auch Sonntag. Auf jeden Fall fand die Feier dadurch ihren Ausklang, dass an die noch feierwilligen Personen Heliumluftballons verteilt wurden und der DJ seine Kuschelrock-CD einlegte. Zunächst blieb mir nichts anderes übrig, als mich an der Schnur meines Luftballon festzuhalten und gute Miene zu bösem Spiel zu machen. Meine Tischnachbarin, die durch ihre Anwesenheit versuchte, die Würde ihrer Landsleute zu retten, amüsierte sich mit ihrem Luftballon, der mir dabei mehrmals ins Gesicht geworfen wurde. Ich blickte mich um. Meine Reisekollegen hatten sich ebenfalls gut und hochprozentig bei Laune gehalten. Aber da standen sie nun: Jeder einen Luftballon in der einen Hand, ein volles Glas in der anderen, träge hin und herschwankend wie ein Schwarm toter Fische in der Brandung. Damit dieser Abend nicht ein derart traumatisches und verfrühtes Ende nahm, musste etwas geschehen. Es war Zeit ein ernstes Wort mit dem DJ zu reden. Dieser zeigte sich jedoch ganz und gar unkooperativ und war gegen jegliche gut gemeinten Vorschläge, was Musikwahl und Lautstärke anbetraf, resistent. Ich machte aus meiner Besorgnis keinen Hehl und so erlitt die Schweizer-Armenische Freundschaft (Ich habe den DJ bezüglich meiner Nationalität in Unwissenheit gehalten) in den darauffolgenden Momenten mehrere herbe Rückschläge. Es halft nichts. Der DJ hatte inzwischen zusammengepackt und verließ den Saal.
Wir mussten weiterziehen. Auswahl bestand zwischen einigen Clubs, wobei ich mich namentlich nur an einen gewissen "Disco-Club" erinnern konnte. Trotz der einschlägigen, von viel Underground-Potential zeugenden Bezeichnung, entschieden wir uns aber für eine andere Location. Ich nutzte die Gelegenheit im Gefährt meiner persönlichen Gastroenterologin mitzufahren. Als wir an dem Club ankamen, musste ich leider feststellen, dass der DJ von der Hochzeitsparty einen Zweitjob als Türsteher hatte. Es passiert ja nun wahrlich nicht so oft, dass ich im Anzug und dazu noch mit einer Frau an der Seite in einer tanzbetrieblichen Einrichtung um Asyl bitte. Ich fragte mich, ob Gott mir irgendeine Lektion erteilen wollte, indem er es auf äußerst raffinierte Weise so einrichtete, dass ich in möglichst vielen Clubs an der Tür auf Grund lief. Vielleicht lag es daran, dass Montag morgen und der Club weitestgehend leer war, vielleicht hatte ich auch meinen Gringo-Bonus doch noch nicht ganz verspielt. Auf jeden Fall durfte ich mich an dem etwas widerwillig wirkenden "DJ-Türsteher" vorbei ins Innere schieben.
Der Club war recht überschaubar. Er bestand im Wesentlichen aus einem einzigen Raum, auf der einen Seite ein DJ, auf der anderen Seite, in einer ungefähren Entfernung von 4m, die Bar. Eine gelungene Raumaufteilung, zumal ich ein Freund von kurzen Entfernungen bin.
Mittlerweile war auch die verbliebene Hochzeitsgesellschaft eingetroffen. Um einen möglichst dekadenten Eindruck zu hinterlassen, verteilten wir Schweizer Schokolade aus einem Hanfsack, der von der Hochzeit übrig war und für dessen Größe wir wohl auch vom Weihnachtsmann Respekt geerntet hätten, sofern man ihn an der Tür vorbeigelassen hätte. In einer Gruppe Flugbegleiter von British Airways (überwiegend Männer) fanden wir dankbare Abnehmer. Die Musik war gut und laut und für mitteleuropäischen Feiermotorik zugänglich. Trotzdem kam der traurige Moment an dem sich meine Tischdame, plötzlich aus dem wilden Treiben ausklinkte. Irgendwie muss sie wohl zu dem Schluss gekommen sein, dass eine weiteres Schritthalten mit dem allseits angeschlagenen Trinktempo der bevorstehenden Durchführung gastroenterologischer Eingriffe im Weg stand. Aus Patientensicht natürlich eine sehr begrüßenswerte Entscheidung. Eine Darmspiegelung kann auch dann schon sehr unangenehm sein, wenn die betreuende Ärztin nicht doppelt sieht.
Mir war inzwischen aufgefallen, dass die Barkeeperin wirklich unfassbar gut aussah. (Ich bin sicher, sie hätte auch nüchtern noch recht akzeptabel ausgesehen). Nachdem ich aber recht bald eingesehen hatte, dass jede weitere Bestellung in einer Katastrophe enden würde, hielt ich mich vorwiegend in der Mitte des Raums auf. Um dem entstandenen Umsatzeinbruch entgegenzuwirken, kam das flotte Barfräulein immer wieder hinter der Bar vor, performte einige heiße Dancemoves in meiner Nähe und verschwand dann wieder hinter dem Tresen. Meiner Meinung nach moralisch intolerabel. Ein derart heimtückisches Verhalten sollte von der IGGTK (Interessengemeinschaft für eine gesittete Trinkkultur) geächtet werden.
So oder so. Ich war durch. Der Abend hatte noch ein würdevolles Ende gefunden. Wir holten C. vom Klo, welches dieser seit über einer Stunde in Anspruch nahm, und verschwanden hinaus in den Morgen.