Wie zumindest
den Eingeweihten unter den Lesern hier bekannt sein dürfte, habe auch ich meine
eigene Hass-Theorie entwickelt, deren konsequente Anwendung mir in meinem Leben
seitdem sehr weitergeholfen hat. Manchmal stieß ich damit bei euch auf
Unverständnis, manchmal auf Mitgefühl, manchmal habt ihr euch meinem Hass sogar
angeschlossen. Aber leider glaube ich, ihr tatet es eher aus Loyalität, nicht
weil ihr dieses Gefühl wirklich mit mir teilen konntet. Ihr mögt zwar mit mir
gegen Nissan Filialen pinkeln oder Schmäh-Prosa über Mehdorn dichten, und das
mag euch sogar Spaß machen, aber verspürt ihr dabei wirklich diesen
vollkommenen unverfälschten Hass gegen diese Pisser, Spastis, die essen was ich
wegwerfe, Nazis in Mülltonn…….
Wie bitte? Was? Wie
ich zu meiner Theorie kam? Ach so ja genau, gut dass ihr fragt:
Aaaaalsoo… Schon
seit meiner Kindheit, aber ganz besonders in den letzten paar Jahren, habe ich immer
wieder die schmerzhafte Erfahrung machen müssen, dass es mir schwerer fällt,
reinen, echten, unverfälschten und abgrundtiefen Hass zu verspüren als vielen
anderen. Schon in der Schule fühlte ich mich manchmal seltsam ausgeschlossen,
wenn die anderen Jungs in der Umkleide das jeweils grade aktuelle Klassenopfer fertig
machten oder sogar verprügelten. Ich wollte auch dazugehören, aber irgendwie
konnte ich mich nicht so recht dafür begeistern. Später auf dem Gymnasium wurde
es sogar noch schlimmer. Hass war der Grundstein des schulischen Sozialgefüges –
hattest du nicht genug davon, wusstest du nie genau wo du hingehörst. Der Hass
ließ manche meiner Klassenkameraden im wahrsten Sinne des Wortes aufblühen und
die unglaublichsten Dinge vollbringen.
Als Beleg
hierfür möchte ich an dieser Stelle unser Abi-Buch anführen, das Manifest
unseres Semesters, Dokument aller erwähnenswerten Taten während der Schulzeit
und Spiegelbild der eigenen Errungenschaften. Was wäre dieses Füllhorn der
kreativen Höchstleistungen ohne den Hass gewesen? Das kann ich euch sagen: Es
hätte ungefähr so ausgesehen, wie meine Abibuch-Seite. Fünf lustlos zusammen geklatschte
Fotos ein paar langweilige dahingerotzte Sätze Verbaldiarö und nicht mal eine
wirklich ernstzunehmende Beleidigung in den Kommentaren. Kurz gesagt:
Stinklangweilig. Nichts wovon man seinen Kindern erzählen könnte. Meine Abi-Seite
war wirklich scheiße! Darüber habe ich mich geärgert. Die Beschissenheit meiner
Seite lag natürlich hauptsächlich an meiner eigenen Faulheit und ich habe auch wirklich
versucht mich selbst dafür zu hassen, aber ich habe es einfach nicht hinbekommen.
Meine Faulheit ist eine der Eigenschaften, die ich am meisten an mir selbst
schätze, wie sollte ich sie also hassen?
Trotzdem
erkannte ich, dass der Hass die Menschen zu großen Taten beflügelt, ihnen
ungeahnte Kräfte verleiht, sowie die Fähigkeit, sich mit voller Leidenschaft
für eine Sache zu begeistern und sie bis zum bitteren Ende durchzuziehen. Überlegt
doch mal! Wo wäre die Welt ohne den Hass? Was wäre aus all den Imperien und
Hochkulturen geworden? Welcher Politiker oder Feldherr kann die Massen hinter
sich vereinen, ohne ihren Hass zu schüren? Da bleiben nicht viele übrig. Ghandi
und Obama können die Welt auch nicht alleine verändern. Und außerdem, die wären
auch beide nichts geworden, wenn nicht so viele Leute sie gehasst hätten. Wer
hätte die griechischen Truppen gegen Troja geführt? Wer hätte Voldemord
getötet? Was für einen Sinn hätte die Bundesliga noch? Oder die
Fußballweltmeisterschaft? Was wäre aus Darth Vader geworden? Der würde immer noch
als Anekin in so einem Kartoffelsack rum rennen und der Todesstern, eines der
größten architektonischen Meisterwerke der Filmgeschichte, wäre nie gebaut
worden. Nein meine Freunde, ohne den Hass wäre die Welt nicht, was sie heute
ist. Ich behaupte ja gar nicht, dass Hass all unsere Probleme löst - dafür gibt
es schließlich Alkohol – aber ohne die Fähigkeit wirklichen echten Hass zu
verspüren und ihn für seine Zwecke zu nutzen, fehlt einem eben etwas.
Was denn jetzt
schon wieder? Ach so ja genau meine Theorie, gut dass du fragst!
Wie ich also
oben beschrieben, habe ich schon in der Schule die Erfahrung gemacht, dass es
mir an der Fähigkeit fehlt wirklich zu hassen. Und das schlimmste war, es wurde
immer schlimmer umso älter ich wurde. Das Schicksal hat mir zwar manchmal in
Form besonders hassenswerter Lehrer etwas Abhilfe verschafft, aber es war jedes
mal das gleiche. Immer wenn ich jemanden fand, den ich wirklich hassen konnte,
lernte ich ihn mit der Zeit besser kennen, und merkte: Der ist ja doch gar
nicht so übel! Oft konnte ich im Nachhinein sogar verstehen, warum er oder sie die
hassenswerten Dinge getan hatte und in der Rückbetrachtung erschienen sie mir
sogar verständlich. Schon war all der schöne Hass verflogen und ich befand mich
wieder im alten Trott. Selbst mein Klassenlehrer Herr Ziegler, der mich in
einer dreitägigen Prag-Reise fünf (!!!) mal zu Unrecht nach Hause schicken
wollte, wurde über die Jahre sogar einer meiner Lieblingslehrer. Kein Wunder,
dass meine Noten schlechter wurden. Wen hätte es denn noch aufgeregt, wenn ich
gut war? Aber schlecht genug, dass sie mich wirklich scheiße fanden, war ich
auch nicht. Und man kann nicht sagen, dass Ben und ich uns nicht bemüht hätten,
vor allem in Französisch.
So wurde mir mit
der Zeit eine der ersten Grundannahmen meiner Theorie klar: Wenn du nicht wirklich hassen kannst, wirst
du auch nie wirklich gehasst werden. Du wirst in bestimmten Kreisen immer
ein Außenseiter bleiben. Du wirst in der Schule nicht verstehen, warum wer zu
welcher Clique gehört, und nach welchen Mechanismen sich diese Zugehörigkeiten
permanent ändern. Ich fragte mich also: Was kann ich tun um mehr Hass zu
spüren? Aus der Beobachtung der Mitschüler und Kommilitonen, die ich für
besonders hasserfüllt hielt, zog ich die Erkenntnis, dass der schnellste Weg zu
gutem Hass über Selbsthass führt. Ich habe eine Weile ausprobiert mich, oder
wenn nicht mich selbst dann wenigstens mein Leben zu hassen (Manch einer mag
sich noch an diese Phase erinnern, in der ich öfters kundtat, dass ich mein
Leben hasse), aber ihr mögt es schon ahnen: Es hat nicht funktioniert. Mir
wurde klar, ich musste mir etwas anderes überlegen, wenn ich wirklichen Hass
erfahren wollte. Und so kam es, dass ich mir die inzwischen in meinem Studium
erworbenen Grundkenntnisse der empirischen Wissenschaft zu nutze machte, um die
Theory of Hate zu entwickeln.
(da du nun schon
seit geraumer Zeit meine Verbalen Ergüsse liest, ohne bisher auch nur das
kleinste bisschen von der großspurig angekündigten Theory of Hate zu erfahren,
bist du an diesem Punkt wahrscheinlich schon mit einem gewissen Pegel an
gesundem Grundhass erfüllt. Ich möchte dich deshalb bitten, dir diesen im
folgenden Teil zueigen zu machen und die Theorie auf dich selbst anzuwenden)
Ausgehend von meinen
Erfahrungen und Beobachtungen lassen sich folgende Grundannahmen formulieren:
1.
Richtig angewendet verleiht Hass dem Hassenden (A)
enormer Energie und kreative Schaffenskraft, die auf den Gehassten (B)
kanalisiert werden kann.
2.
Die natürliche Quelle des unverfälschten Hass ist der
Selbsthass (H_selbst).
Aus diesen
beiden Annahmen folgt zwangsläufig, dass all jene, die nicht über ein
ausreichendes Potential an HS verfügen, diesen Mangel durch ein entsprechendes
Potential an Behelfs- oder Ersatzhass (H_ersatz) ausgleichen müssen. Genauso
wie ein Diabetiker, der nicht ausreichend Insulin produziert, brauchen die Betroffenen
also ein Ersatzpräparat, also eine alternative Quelle des Hasses.
Was eignet sich
also als Quelle des Hasses? Welche Eigenschaften muss eine Person, eine
Institution oder ein beliebiges Objekt haben, damit es sich als Ersatzquelle
des Hasses eignet? Auch hierfür lassen sich aus meinen Beobachtungen einige
Je-Desto-Aussagen treffen.
1.
Je weniger Kontakt der Hassende (A) zum Gehassten (B) hat,
desto leichter ist der Hass aufrechtzuerhalten. à Vollkommener Hass kann
wesentlich leichter gegenüber jemandem oder etwas empfunden werden, das man
nicht wirklich kennt.
2.
Der Hass gegenüber dem gehassten Objekt (B) nimmt mit
der Zeit ab, wenn er nicht institutionalisiert oder zumindest ritualisiert und
somit immer wieder erneuert wird.
3.
Hass ist effektiver, wenn er einen konkreten Adressaten
(im Folgenden auch als Hadressat bezeichnet) hat, da er dann einfacher
institutionalisierbar ist. Effektiver Hass ist also grundsätzlich zielgerichtet
und verliert an Kraft, wenn der Hadressat (B) oft gewechselt wird.
4.
Im Idealfall ist die Ersatzquelle des Hasses (H_ersatz)
identisch mit dem zu Hadressat (B). Es gilt also im Idealfall „H_ersatz = B“.
Diese Regeln und
Variablen zur Auswahl der passenden Ersatz-Hassquelle sind natürlich für jeden
individuell unterschiedlich. Aus den vier Aussagen lassen sich allerdings
einige allgemeine Regeln für die Auswahl des richtigen Hadressaten ableiten. Wählt
am besten eine Person oder Institution aus, die ihr nicht wirklich kennt, die in
eurem täglichen Leben aber regelmäßig vorkommt. Auf diese Weise könnt ihr den
Hass gegen den Hadressaten in eurem Alltag ritualisieren, ohne Gefahr zu laufen
das Hasspotential durch echten Kontakt mit dem Objekt zu vermindern. Zweitens:
Pflegt euren Hass: Guter Hass braucht seine Zeit, er kommt nicht von heute auf
morgen. Ihr habt irgendwas gefunden, worüber ihr nicht wirklich bescheid wisst,
was euch aber irgendwie geärgert hat? Das müsst ihr behandeln wie ein
Samenkorn. Pflegt es über längere Zeit. Achtet, immer wenn es euch in eurem
Alltag begegnet auf weitere Gründe, warum ihr es hassen könntet. Und ganz
wichtig! Wenn ihr mehrere Sachen habt, die euch ärgern, oder die ihr sogar
hasst, dann verknüpft sie! Euch stört irgendwas? Irgendjemand im Fernsehen regt
euch auf? Da gibt s bestimmt einen Zusammenhang mit eurem Hadressaten!
Zum Schluss
möchte ich euch zur Veranschaulichung noch ein konkretes Anwendungsbeispiel aus
meinem eigenen Leben geben. Der eine oder andere mag es schon geahnt haben:
Mein persönliches H_ersatz, also die Quelle meines Hasses, aus der ich ein
Großteil meiner Energie beziehe und die mein Leben verändert hat, ist Nissan! Ich
habe lange nach einem guten Hadressaten gesucht und eines Tages fiel es mir
einfach auf. Ich kenne niemanden der Nissan fährt, ich weiß nicht mal wo diese
Autos hergestellt werden, vermutlich Mordor, oder noch schlimmer, Jena (das ist
ein weiterer Hadressat, den ich versuche aufzubauen und mit den anderen zu
verknüpfen, aber der befindet sich noch im Anfangsstadium). Wie auch immer, mir
ist aufgefallen, dass ich entweder alle Nissans hässlich fand, oder sie von
anderen deutschen Modellen abgekupfert waren. Und Tadaa, der Grundstein für
einen guten Hass war gelegt. Seitdem habe ich diesen Hass weiter gepflegt und weitere
Gründe, Nissan zu hassen, kamen ganz von allein. Das ist wie mit einer guten
Verschwörungstheorie: Wenn man lange genug sucht, findet man schon irgendwelche
Gründe, Nissan zu hassen. Und dann fällt es dir auch auf einmal auf, dass der
Typ, der dir grade den Parkplatz geklaut hat, einen Nissan fährt. Und dann wenn
du dann auf der A4 an Jena vorbeifährst (diese Stadt ist wirklich so
unglaublich hässlich, Gott sei Dank war ich noch nie dort) fallen dir auf
einmal die ganzen Nissans auf und alles beginnt einen Sinn zu ergeben. Und dann
hast du es: Endlich hast du den Hass, dieses reine und vollkommene Gefühl, ohne
dass es sich irgendwie negativ auf deinen Alltag auswirkt.
Ich kann ohne zu
übertreiben sagen, der Hass auf Nissan hat mein Leben verändert, und das kann
er auch bei euch! Das höchste der Gefühle wäre natürlich, wenn wir unseren Hass
auch noch gemeinsam teilen könnten, wenn ihr also auch Nissan hast, oder wir
zumindest einen gemeinsamen Hadressaten finden würden. Das ist gar nicht so
einfach, ich hab mich schon umgeschaut, aber ich kenne einfach zu viele
rothaarige und die sind eigentlich alle ganz in Ordnung. Sogar einen ganz erträglichen
FDP-Anhänger zähle ich zu meinem Bekanntenkreis. Da besteht schon wieder viel
zu viel emotionale Nähe. Jaja es ist wirklich nicht einfach, aber es lohnt
sich.
Auch dieser Text
entstand unter dem Einfluss fruchtbaren Hasses. Einerseits auf die Uni von der
ich mich ablenken muss, aber dann, ich war grade mitten dabei musste ich meiner
Freundin beim Parkplatz suchen Nachts in Charlottenburg helfen. Wir haben eine
halbe Stunde gesucht, um dann 10 Minuten Fußweg von zuhause entfernt endlich
einen Parkplatz zu finden. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie unglaublich
viele Nissans auf meinen potentiellen Parkplätzen standen und mir den Tag
versaut haben.