Sonntag, 28. April 2013

Meilenweit nur Bier in Sicht

Gestern rief die "Biannually Spring Beer-Mile" zur Teilnahme. Ich hatte mich nicht wenig mental auf dieses Event vorbereitet, welches in unserer Austausch-Studenten-Gruppe als DAS Frühlings-Highlight angekündigt worden war. Tatsächlich bestätigte sich hier das leidige Phänomen eines jeden Sauf-Fest-Organisators, wie ich es auch schon im Sommer bei der Organisation des Schlachtensee-Laufes festgestellt hatte: Zuvor hatten sich zig Teilnehmer angekündigt, am Ende waren vielleicht 20 am Start, die Zuschauermenge überragte die Teilnehmeranzahl deutlich.

Worum ging es? Insgesamt war eine Meile, also 1,6 km zu rennen und dabei die 'sagenhafte' Menge von 1,32l Bier zu vernichten. Soweit gar nicht mal so schlimm. Vielleicht war die Verteilung die Haupthürde: Eine Bierdose, 400m; eine weitere Bierdose, wieder 400m u.s.w.

Klar, das durfte ich mir nicht entgehen lassen, endlich die Schmach des letzten Kastenlaufes zu tilgen. Also wurde seit dem Frühstück sämtliche weitere Flüssigkeits- oder Nahrungszufuhr eingestellt. Was gar nicht mal so einfach war, vor dem Rennen hatte Läufer Nummer 432 bereits einen Mordsdurst aufgebaut, als er auf der Läuferbahn des Sportplatzes mit den Hufen scharrte.
Das Rennen selbst? Eine Katastrophe. Fühlte sich an wie eine Vergewaltigung durch einen ausgewachsenen, gut genährten Zoo-Elefanten. Das erste Bierchen ging noch gut rein, doch schon während der ersten Runde wusste ich, dass ich das Rennen niemals gegen die echten S-/Läufer gewinnen kann. Das zweite wurde reingeqält. Beim Rennen der zweiten Runde befürchtete ich bereits, mit einem Spontan-Papst eine Strafrunde zu kassieren, doch glücklicherweise war das ganze nur ein erschreckend riesiger Rülps. Beim dritten Bier trennte sich schließlich die Spreu vom Weizen. Die ersten gaben auf, die trainierten gingen in Führung und eine weibliche Teilnehmerin aus Kanada erbrach in ihren Mund, bekam aber keine Strafrunde, weil sie den Papst sogleich wieder an seinen Ursprungsort zurückbeförderte (Tapfer, das gelingt mir nur dicht auf der Tanzfläche). Ich fiel stark zurück, konnte das Bier aber schließlich austrinken und machte im Rennen wieder Boden gut. Beim Überholen eines Teilnehmers hatte der einen leichten Sprühpapst, der jedoch aufgrund des geringen Ausmaßes für die Schiedsrichter am Start nicht sichtbar war und daher ungeahndet blieb. Fast hätte das bei mir eine Kettenreaktion ausgelöst. Ich beschwerte mich bei ihm, mit meinem Magen ringend und zog davon. Das vierte und letzte Bier vor der letzten Runde. Der Sieger, Organisator des Rennens und Ire, war meines Erachtes schon im Ziel. Die, die nicht aufgegeben hatten und nicht zur trainierten Fraktion gehörten, hatten sich hier in der Saufzone versammelt, um mit ihrem Körper zu kämpfen. Gegen den Schweinehund, aufzuhören, gegen die Vernunft, sofort eine Bratwurst zu essen und gegen den Bauch, der alles wieder rausdrücken wollte. Als schließlich die beste Frau im Feld ihr letztes Bier austrank und für die letzte Runde ansetzte, wusste ich, dass ich das nicht einfach geschehen lassen konnte. Saufen ist Kopfsache. Die soziale Demütigung fürchtend, angefeuert von der johlenden Tribüne, vollführte ich einen klassischen Bierjungen wie in alten Tagen und setzte zur Aufholjagd an. Nach 200m hatte ich das Mädel eingeholt. Statt eines großen Showdowns zum Schluss konnte ich die letzten Meter ins Ziel gehen. Noch auf der Ziellinie beendete mein Magen die bis dato fruchtbare Zusammenarbeit und begann, das Wettkampfgetränk wieder auszuwerfen. Es war mir diesmal nicht möglich, den Papst in einen Rülpser zu verwandeln. Doch konnte ich glücklicherweise sofort den Fluss stoppen, so dass es für die meisten wie ein etwas größeres Spuken ausgesehen haben muss.
Ich habe noch nie soviele Leute würgen sehen. 12:56 Minuten, 4x0,33l Bier 5,2% und 4x400m später war mein Magen eine klaffende Wunde. Erst zwanzig Minuten danach begann der Alkohol das gerade Geschehene in Wohlgefallen auzulösen. Nun konnte der Abend beginnen.
Die verrückten am Start: Sie ahnten nicht, was kommt.

Donnerstag, 11. April 2013

Mein zweites Standbein


Das Berufsbild des Physikers kränkelt an entscheidender Stelle: dem Sex-Appeal. Einem Weib auf einem gesellschaftlichen Anlass zu offenbaren, man betreibe die akademische Disziplin der Physik, löst im Allgemeinen Befremden aus und sorgt zuverlässig für eine abruptes Eintreten einer Gesprächspause. Diese lässt sich selbstverständlich optimal nutzen, um sich kurz einen weiteren Drink zu mixen, eine Kippe anzuzünden, sich flink auf die Suche nach herzhaften Essensresten zu machen, zu schauen ob die Toilette immer noch belagert ist, oder auch schlicht um zu testen, wie gut die weibliche Konversationspartnerinn geübt ist, einem derartigen Gesprächstöter entgegenzutreten.
Ist sie dies nicht und tritt unangenehmes Schweigen auf, ist es an einem selbst das Gespräch wieder neu zu entfachen. Unter Umständen ist die Flamme des Dialoges auch nie richtig entbrannt, gegeben man gab seinen Hintergrund bereits bei den entscheidenden ersten Sätzen preis. In diesem Fall ist nichts mehr zu retten und man sucht am Besten einen Artgenossen mit gleichem Nerdlevel auf, um ein wenig über die Konsequenzen einer möglichen Anomalie des allgemeinen Gravitationsgesetzes für Schwerpunktsabstände der beteiligten Massekörper in einer Größenordnung klein gegenüber der Plancklänge zu streiten. Dies lässt den entstandenen Frust am Ende der kurzen Interaktion mit der andersgeschlechtlichen Person (meist niedrigerer Nerdstufe) schnell vergessen, führt aber auf lange Sicht eben nicht zum beabsichtigten Erfolg.
Konnte man es zumindest für einige Zeit verbergen, aus welchem Gewerbe man stammt und ist die Diskussion erst im späteren Verlauf ins Stocken geraten, ist die Lage besser aber immer noch heikel, denn es gilt nun erst einmal den Sand aus dem Getriebe zu putzen. Dies stellt sich allerdings meist mühsam dar und erfordert unnötig Kraft und umständliche Erläuterungen, aus denen klar wird, dass man zwar schon irgendwie Nerd aber eben kein durchgeknallter Geek ist und mit allgemeinen Hygienegrundlagen, einschließlich der Handhabung von Seife, Handtuch und Haarschampoo vertraut ist.
Auch ich habe hinsichtlich der geschilderten Problematik hinreichend Erfahrung gesammelt und über die Jahre mehr oder weniger effiziente Strategien entwickelt, die einen am Ende des Tages mehr schlecht als recht über den Berg, bzw. durch den Abend bringen. Natürlich bin ich auf Nachfrage bereit, meinen mühsam erworbenen Wissenschatz mit Nerds gleicher oder höherer Nerdstufe zu teilen. Die erfolgreiche Umsetzung ist jedoch immer noch risikobehaftet und unterliegt hohen statistischen Schwankungen. Auf der Suche nach einer universellen Methode bin ich bei meinen Studien zu dem Schluss gelangt, dass die einzige erfolgreiche Strategie mit globalem Anspruch, d.h. unabhängig von individueller Ausprägung des Nerdfaktors, der Aufbau eines zweites Standbeins ist.
Selbstredend ist Maschinenbau oder Informatik als zweites Standbein ungeeignet. Mit dem Attribut "geeignete" zu versehene Metiers sind: Tauchlehrer, Stuntman, Rockstar, Tenor (nicht Countertenor), DJ, Bankräuber, Berufsblogger (für literarische, philosophische Themen, auf keinen Fall naturwissenschaftlich), Guru, Survival-Experte, Kampfpilot, Nachrichtensprecher, CEO von Volkswagen (auf keinen Fall CEO der S-Bahn Berlin), Modedesigner (Vorsicht: wirkt eventuell schwul), Talkmaster (nicht Lenz, schwul), Diktator, Fernsehkoch (Vorsicht: auf keinen Fall Biolek), oder Skilehrer.
Ich persönlich habe mich für Letztes entschieden. Und ich beschloss, dass der Tiroler Skilehrerverband ein geeigneter Partner für mein Unternehmen wäre. Um es vorwegzunehmen: Leider haben die Tiroler Bergspasten die tiefere Absicht meiner Teilnahme an der Ausbildung durchschaut und sich prompt geweigert, mir die benötigte Lizenz auszuhändigen. Natürlich konnte ich vorher nicht ahnen, dass eine innige Naturverbundenheit, Menschenfreundlichhkeit (ungeachtet des Geschlechts, Haarfarbe oder Alters), Freude im Umgang mit Kindern, Hilfbereitschaft und Geduld neben mittelgrottigem Fahrkönnen ebenfalls gefordert waren.
In bester Absicht und guten Mutes begab ich mich also vor knapp zwei Wochen mit dem Zug von Zürich nach Zell am Ziller im Zillertal. Keine Ahnung, was man sich bei der Wahl des Ortes gedacht hat, aber die Entscheidung muss wohl von dem einzigen Tiroler Skilehrerausbildner getroffen worden sein, der Zeit seines Lebens nicht verstanden hat, dass Skifahren und übermäßiger Alkoholkonsum am Spätnachmittag eine innige Symbiose bilden, die unter dem Schlagwort Apres Ski bekannt ist. Was die besagte Beschäftigung anbetraf, hätte ich von der Stimmung am Ort her gesehen, zum Feiern und Grölen genauso gut den ausgeschiedenen Papst in seinem Nonnenkloster besuchen können. Bereits am ersten Abend drehte ich mit meinen WG Kameraden (zumindest die waren einigermaßen vernünftig) drei Runden durch den Ort nur um festzustellen, dass es neben einer einzigen offenen Bar nur noch "Tonis Stadl" gab, eine Absteige, in der die Dame an der Bar wohl die einzige Person war, die man ansprechen konnte, ohne sich krankhaft pädophil zu fühlen.
Im Laufe der Tage verbesserte sich die Situation zum Glück ein wenig. Zum einen wuchs unsere WG auf stolze zehn Personen, zum anderen entdeckten wir die "Alte Mühle", eine Tanzeinrichtung in der, übrigens dem Namen gerecht werdend, das Publikum nicht minderjährig war. Des Weiteren gesellten sich drei Anwärter aus Ischgl zu uns, denen ebenfalls nicht entgangen war, dass die Apres Ski Qualität in Zell am Ziller weit hinter Tiroler Standards zurückgeblieben war. Da die beiden Südtiroler aus der WG ("Django" und "Shred") verantwortlich für die Logistik des italienischen Rafting-Nationalteams waren und einen entsprechend geeignetes Gefährt besaßen, konnten wir unseren Aktionsradius beträchtlich erweitern und so schloss dieser nun auch die Nachbargemeinde mit ein, in der Gott sei Dank mehr los war.
Die Skilehrerausbildung bestand im Prinzip darin, zehn Tage lang Pflug zu fahren, was in erster Linie für die Skilehreranwärter von Vorteil war, die noch nicht Skifahren konnten. Die Ausbildner hielten sich durch den konsequenten und kollektiven Genuss von Snus (schwedisch: Snüs) bei Laune. Einige auch damit, Erkundigungen darüber einzuholen, wer ihnen denn den besten Deal für Gras machen könnte. Vom Ausbildungsprogramm her, ließen sich also keine Einwände finden, die allabendlichen Ausflüge ins Nachbardorf nicht noch ein wenig zu vertiefen.
Da ich Informationen erhielt, dass alsbald der bereits allgemein als Dumpfbacke bekannte "Justin" zu uns ins Haus, konkret zu mir ins Zimmer, ziehen sollte, war ich gezwungen noch schnell im Keller ein Bett aufzubauen. "Justin" hatte sich kurz vor Beginn des Lehrgangs bei einer kleinen Meinungsverschiedenheit den Arm verknickst, und war aus dem Krankenhaus getürmt, bevor man seinen Arm gipsen konnte. Der Junge war auf jeden Fall im Kopf genauso hohl, wie sein Arm geschwollen und blau, was sich auch nochmal dadurch bestätigte, dass er gleich am ersten Abend das Waschbecken mit Kotze verstopfte, obwohl die Toilette keinen halben Meter daneben stand.
Die Südtiroler machten sich mittlerweile durch ihre ausgezeichneten Kochkünste bemerkbar. Die weiblichen Mitbewohnerinnen waren ebenfalls gut drauf und pflegeleicht. Eine von ihnen fing dann auch gleich ein Verhältnis mit einem Ausbildner an, der zufällig im Partynachbardorf wohnte. Dieser erfreute sich zwar an ihrer nächtlichen Gesellschaft, musste aber mit dem Umstand leben, dass seine Fiancee ihn immer dann verließ, wenn die besoffene Meute wieder nach Hause gefahren werden wollte.
Am Tag der absolvierten Theorieprüfung (die natürlich begossen werden wollte), und zugleich ein Tag vor der praktischen Prüfung, startete dann (im Nachbardorf) das "Snowbombing", zu dem haufenweise Engländer in bester Partylaune eingeschifft wurden. Man durfte sich also in guter Gesellschaft wähnen.
Natürlich ist übermäßiger Alkoholkonsum auch nicht im entferntesten eine akzeptable Entschuldigung für motorisches Versagen am folgenden Tag. Nach der praktischen Prüfung und am Ende des Lehrgangs hatte ich aber zumindest eine Lektion gelernt, die mir bei meiner weiteren Karriere auf meinem zweiten Standbein noch von großer Wichtigkeit sein wird: "Unterschätze nie den Pflug!"

Montag, 1. April 2013

Lagebericht Schweiz


Auch bei den Schweizer Bierpreisen gab es bislang leider keine Entspannung. Neueste Prognosen erwarten zudem, dass der Preis in den nächsten Wochen sogar weiter anzieht. Experten haben beobachtet, dass der europäische Biermarkt in jüngster Zeit eine Nachfrageverschiebung hin zu den sonst nur mitteldurstigen, nordeuropäischen Ländern, insbesondere nach Schweden, erfahren hat. Durch die plötzliche Wanderung des Nachfrageschwerpunktes, ist in den südlichen Ländern ein Lieferengpass entstanden, der, wie spekuliert wird, noch bis Mitte Jahres anhalten wird. Obwohl ich mir auch in diesem Punkt zurechne, tiefere Einsichten in das Geschehen zu besitzten als von Fachkreisen soweit erfasst,  muss ich nichtsdestotrotz  mein Konsumverhalten an die neue Situation anpassen. Konkret werde ich mich nun öfter nach Berlin begeben, in der Hoffnung, dass dort auch in naher Zukunft noch volle oder zumindest halbvolle Fässer vorhanden sind. Auf Grund der neu entstandenen Bindung mit einer gewissen M.S. sehe ich mich in der erfreulichen Situation einen weiteren Grund zu haben, der mein gelegentliches Ausbuchsen aus dem Exil rechtfertigt.
Bei meinem letzten Kurzbesuch im Norden habe ich allerdings eine erschreckende Feststellung gemacht, die mir eindeutig zeigte, dass meine Aufenthaltsdauer in der Schweiz einen kritischen Wert erreicht hat. An dem gewissen Wochenende ernährte ich mich mal wieder ausschliesslich von einer wohlbekannten türkisch-deutschen Fast Food Spezialität. Ich war von dem Geschmack mal wieder so begeistert, dass mir noch jetzt die Hände zittern, wenn ich an den Moment der Nahrungsaufnahme denke. Erstaunlicherweise erlebte ich das überwältigende Gefühl an jedem aufgesuchten Schnell-Verpfegungsstand.
Doch kann es sein, dass wirklich alle Berliner Döner unfassbar gut schmecken? Kann es sein, dass es  keinen einzigen nur mittelleckeren Ausreisser gibt? Nein, natürlich nicht!! Ich musste zu dem Schluss kommen,  dass das statistisch unmöglich ist. Und da wurde mir klar, dass der kontinuirliche Verzehr von Züricher Döner mittlerweile vollständig meine Massstäbe verzehrt hat. Dabei hätte mann eigentlich bei Accelzio's ausführlichem Photoreport schon misstrausisch werden müssen. Zugegeben, es gab schon ein wages Gefühl, dass das Mitbringsel nicht wirklich gut schmeckt. An dieser Stelle nochmal grosses Lob für die wagemütige oder auch grob fahrlässige Verköstigung der überbrachten Ware. Eigentlich hatte ich erwartet, dass dieser Döner seine entgültige Bestimmung darin finden würde, dass man ihn fachgerecht mummifiziern und dem Museum für neuzeitliche Geschichte überreichen würde. Er gibt einen  eindrücklichen Beweis dafür ab, zu welch Grausamkeiten die menschliche Spezie auch heute noch in der Lage ist. Ich rege in Anbetracht der nun erfolgten Vertilgung an, schnellstmöglich einen Wachsnachbau für das Berliner Wachsfigurenkapinett anzufertigen und das Replikat entweder Hitler, Stalin oder Saddam Hussein ins Gebiss zu klemmen, um zu unterstreichen aus welchem Holz die besagten Personen geschnitzt sind. Selbstverständlich will ich mit diesem Vorschlag keine missverstándlichen Gemeinsamkeiten zwischen Accelzio und den besagten Protagonistn der Weltgeschichte andeuten. Ich selber verstehe seine Tat vielmehr als heroische Aufopferung für die Wissenschaft, und dass ihm selber nichts anderes vorschwab, belegt die gewissenhafte Dokumentation, die ein drastischen jedoch nicht ganz überraschendes Fazit bezüglich des Geschmackserlebnisses abgibt.
Die Quintessenz ist also, dass Geschmack regelmäßig nachgeeicht werden muss. Und zwar sowohl nach oben als auch nach unten. Denn nichts ist so tötlich wie die Gewohnheit an ein vorherrschendes Qualitätsniveau.