Freitag, 22. März 2013

Der Geist und die Belgierin

Was den Aufenthalt für mich in Schweden besonders speziell macht, ist die Tatsache, dass ich das erste Mal seit der 11. Klasse lange Zeit an einem Ort bin, an dem ich zuvor niemanden kannte. Sicher, ich war mal fast einen Monat im Urlaub, aber stets mit wechselnder, altbekannter Gesellschaft. So kommt es hier durchaus mal vor, dass ich einen Tag lang höchstens auf dem Koridor einen stummen, ängstlichen Schweden sichte, der mit seiner frisch zubereiteten Tiefkühl-Pizza in seiner Kemenate verschwindet, ehe ich es schaffe, mit ihm eine holprige schwedische Konversation zu beginnen. Klar, bei soviel Abstinenz meines in Berlin ja doch recht umfangreichen Bekanntenkreises bleiben gewisse Wahnvorstellungen da nicht aus.

Nun ist es nicht so, dass ich es nicht irgendwie mal genießen würde, mehr Zeit für mich selber zu haben. Sei es der Blog, meine bekannte Wikipedia-Sucht und mein derzeit sehr ehrgeiziges Schwedisch-Vokabeln-Lernprojekt.

Aber vor kurzem gab es da eine Sache, die mich in gewisse Unruhe versetzte. Auf meinem Korridor wohnt eine weitere Deutsche. Sie spricht Schwedisch und Englisch mittlerweile fließend sowie natürlich Deutsch. Sie ist sehr offen, wenngleich viel zu dick für mich, aber wir reden oft miteinander, weil sie sich gut auszukennen scheint. Außerdem beginnt sie sofort die Konversation mit mir, wenn sich mich trifft. Und da ist das Problem: Sie trifft mich oft, aber nur wenn kein anderer dabei ist. Zunächst wäre das nicht besonders der Rede wert gewesen. Doch mit der Zeit fiel mir auf, dass ich sie nur sah, wenn kein anderer im Raum war. Bevor andere in die Küche kamen, hatte sie sich gerade verabschiedet. Oder umgekehrt. Die anderen, mit manchen von ihnen trinke ich beizeiten mal ein wässriges 2,8%-Pils, erwähnen sie mit keinem Wort. Erzähle ich von ihr, geht keiner darauf näher ein. Es ist, als sei sie nur für mich existent. Wie ein guter, Deutscher Geist (Sie redet immer nur Deutsch mit mir), den in meiner Schizophrenie natürlich nur ich sehen kann. Während ich den Gedanken anfangs nur als Zufall abtat, fing ich mit der Zeit an mir zu zweifeln an und mich in den Gedanken zu vertiefen, nur ich könne sie sehen. So oft ich sie oder andere traf, blieb nämlich das Spielchen gleich. "A Beautiful Mind" - aber leider ohne Meisterhirn meinerseits.
Auf zwei Korridorpartys bei uns war sie auch schon nicht zugegen gewesen. Als ich von einer weiteren Party auswärts heim kam und sie da mit zwei weiteren Leuten, die ich noch nie gesehen hatte, in unserem Flur feierte, war die Sache klar: Ich halluziniere, jetzt auch noch im Zustand der Trunkenheit -jener oft eines meiner klarsten- und mein Geist hat seine Geisterfreunde eingeladen. Wenn die drei anfangen, jetzt noch aufzutauchen, wenn ich alleine im Fahrradkeller stehe, dann ticke ich aus.
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Ich hatte oftmals ja bereits schon erwähnt, dass die Frauen in Schweden ziemliche Raketen sind, 1/3 würden nicht nur bei ZuBu die weißen T-Shirts gefährden. Nun habe ich, der skandinavischen Reserviertheit geschuldet, zunächst von dem Projekt "Eine Studentin aus Upsalalalalala" ein wenig Abstand genommen, bis (die Frage ist ob) ich der nordischen Sprache etwas mächtiger bin. Glücklicherweise ist unsere Austauschschülergruppe ein bunter Haufen, der auch ohne Schwedisch-Kenntnisse verspricht, einen immer mit Party und kennenlernfreudigen Menschen zu versorgen. So begab es sich auf einer kleinen Feier, dass eine junge betrunkene Belgierin die Werte ihres Nachbarlandes mal etwas näher kennenlernen und diese auf Herz und Nieren prüfen wollte. Sie war derart angetan von der für sie neuentdeckten Deutschen Kultur, dass die europäische Völkerfreundschaft auch nüchtern weiter fortzelebriert werden sollte.

Als ich, erschöpft vom intensiven kulturellen Austausch, am nächsten Tag in die Küche kam, um mir den inzwischen obligatorisch gewordenen gewürzten Tomatensaft mit Pfeffer reinzuziehen, saß da mein Geist. Doch er war nicht allein. Er sprach mit meinen Mitbewohnern. Erst da realisierte ich: Ich bin nicht schizophren. Ich bin einfach nur bescheuert.

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